DIE KARL-FOERSTER-STIFTUNG FÜR ANGEWANDTE VEGETATIONSKUNDE TRAUERT UM IHR KURATORIUMSMITGLIED UND LANGJÄHRIGEN VORSITZENDEN PROF. GÜNTER NAGEL
Er starb am 24.11.2020 in Hannover im Alter von 84 Jahren. Nagel wurde 1972 in das Kuratorium berufen und war ab 1976 zehn Jahre lang sein Vorsitzender. Die Unterstützung der Stiftung war ihm bis an sein Lebensende ein zentrales Anliegen.
Als Sohn eines Landschaftsgärtners wurde Günter Nagel am 2. Februar 1936 in Dresden geboren. Mit neun Jahren erlebte er im Luftkrieg die flächendeckende Zerstörung des Stadtzentrums von Dresden. Die Familie blieb in Dresden, wo der Gärtnerssohn ebenfalls eine Gärtnerlehre absolvierte. Ab 1957 konnte er an der Humboldt-Universität in Berlin-Ost bei Georg Bela Pniower das Studium der Garten- und Landschaftsgestaltung aufnehmen, was bei der geringen, vom DDR-Staat festgesetzten Zahl an Studienplätzen keinesfalls selbstverständlich war. 1961 beendete Nagel das Studium und flüchtete im Jahr des Mauerbaus nach West-Berlin. Da die Humboldt-Universität die Aushändigung seiner Diplom-Urkunde verweigerte, musste Günter Nagel der Technischen Universität Berlin mittels vorliegenden Studienbuches und ergänzender Prüfungsgespräche seinen abgeschlossenen Ausbildungsstand darlegen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter begleitete er Hermann Mattern acht Jahre lang am Institut für Gartenkunst und Landschaftsbau der TU Berlin, sowohl bei der Lehre als auch als Entwerfer und Bauleiter in dessen Planungsbüro. In diese Zeit bei Mattern fiel auch die Gründung Karl-Foerster-Stiftung, mit welcher dieser eine Institution schaffen wollte, um begabte junge Gärtner unbürokratisch zu fördern, Vegetationsforschungen unkonventionell zu unterstützen und vergleichende Sichtungsarbeiten anzuregen.
Die Studentenbewegung erschwerte die tägliche Arbeit an der Hochschule; das für Nagel beim ersten Studium in der DDR obligatorische Studienfach Marxismus-Leninismus hatte eine gewisse Distanziertheit gegenüber den z.T. marxistisch bewegten Studenten zu Folge. Hinzu kamen 1969 Umstrukturierungen durch ein neues Hochschulgesetz. Noch bevor die Assistentenzeit im März 1970 zu Ende ging, entschloss sich Nagel 1969 zur Gründung eines eigenen Büros.
Nagels Berufsbild war beeinflusst von seinen Lehrern Pniower und Mattern, von Karl Foerster und Herta Hammerbacher, wie auch von der Planungstheorie des Architekten und Stadtplaners Hans Scharoun, mit dem er als Mitarbeiter Matterns direkt zusammengearbeitet hatte.
Günter Nagels Lebenswerk strahlte weit über seine Bürotätigkeit, Lehrtätigkeit und die engere Fachöffentlichkeit hinaus. Zeit seines Lebens hat sich Nagel mit den Fragen einer zukünftigen, nachhaltig durchgrünten Stadt auseinandergesetzt – sowohl als Forschender, Lehrender als auch als praktizierender Landschaftsarchitekt und Stadtplaner. In diesem Sinne prägte er in der Karl-Foerster-Stiftung einen offenen Geist, der auf der herausragenden Gartenbewegung Karl Foersters aufbaut, aber noch weit darüber hinausgreift. 1974 zitierte der damalige Vorsitzende der Karl-Foerster-Stiftung Prof. Norbert Schindler in einer Ansprache Günter Nagel: „Karl Foerster hat sich nie mit den Pflanzen, wie sie die Natur uns gab, abgefunden. Er hatte den unerschütterlichen Glauben, dass die Pflanzen noch schöner, nützlicher, widerstandsfähiger gegen die Ungunst der Standortbedingungen werden können. Lassen Sie uns mit diesen Pflanzen arbeiten, sie erproben und neue Züchtungen für extreme Standorte, z.B. in unseren Städten, anregen. Das muss ein spezifischer Beitrag des Garten- und Landschaftsbaues zur Verbesserung unserer Umwelt sein. Dem weitgehenden Verlust an Natur muss durch eine neue Gartenkultur begegnet werden.“
Günter Nagels Beiträge zur Gartenkultur haben ganze Generationen junger Landschaftsarchitekten geprägt. Wie Eva Benz-Rababah in seiner Festschrift zum 65. Geburtstag schreibt, galt ihm die Integration von Nutzung, Gestalt und Ökologie als Grundregel, die lokale städtebauliche und naturräumliche Situation setzte den Rahmen, wobei er die Nutzung der natürlichen „Reliefenergie“ als essenziell erachtete.
Seit 1970 nahm er Lehraufträge für Entwerfen, Objektplanung, Garten- und Landschaftsplanung an der TU Berlin, an der Hochschule für Bildende Künste Berlin und an der TU Braunschweig wahr. 1974 wurde er zum Professor an die Hochschule für Bildende Künste Berlin berufen, 1977 zum Professor an die Universität Hannover. 1978/79 wurde er Dekan des Fachbereichs Landespflege und 1986/88 Vizepräsident der Universität Hannover. 1992-2000 war er Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft und u. a. Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, des deutschen Werkbundes und der Akademie der Künste Berlin.
Günter Nagel folgte Hans Scharoun von 1986-1997 als stellvertretender Direktor der Sektion Bauwesen und weitere neun Jahre bis 2006 als Direktor der Sektion Baukunst der Akademie der Künste Berlin.
Zwei Jahrzehnte hatte Günter Nagel die bauliche Entwicklung der Universität Hannover als Berater der Hochschulleitung maßgeblich mitgeprägt, insbesondere als Vizepräsident der Universität und seit 1993 als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Bau- und Nutzungsplanung. Er ließ das zentrale Gebäude des Fachbereichs Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung tiefgreifend umbauen und erweitern, das Außengelände entwarf er als erfahrener Planer selbst. Nach Benz-Rababahs Worten blieb bei seinen Entwürfen die Pflanze immer der Hauptbaustein der Landschaftsarchitektur. Und Werner Durth zufolge entsprach Nagels Bemühen um die Verschränkung von Stadt und Natur in der Vision durchgrünter Stadtlandschaften in der Architektur der Wunsch nach Aufhebung der Grenzen zwischen Innen und Außen im Sinne des nun so genannten „fließenden Raums“, die den Menschen offenen Spielraum gibt und sie selber in ihrem Tun anderen sichtbar sein lässt.
So wirkte durch Günter Nagel die Botschaft der Nachkriegsgeneration bis in die 1980er Jahre weiter. Sein umfangreiches Werk reicht vom Entwurf eines Gartens bis hin zur Entwicklung der Stadt: Landschaftsplanungen in Marl, Ratzeburg, Burgdorf, Barsinghausen, Freiraumplanungen und stadtteilübergreifende Strukturplanungen in Berlin, Hamburg, Hannover, Celle und Bad Lippspringe, Grünräume zahlreicher Wohngebiete, Außenräume für öffentliche Gebäude, Schulen, Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude und Gewerbebauten. Über viele Jahre lang begleitete er auch das Kloster St. Marienthal in der Oberlausitz.
Für sein Lebenswerk wurde Günter Nagel 2003 mit dem Friedrich-Ludwig-von Sckell-Ehrenring für Landschaftsarchitektur ausgezeichnet. 2018 erhielt er die Peter-Joseph-Lenné-Medaille der Lenné-Akademie für Gartenbau und Gartenkultur Berlin-Brandenburg.
Sein planerischer Nachlass wird als Günter-Nagel-Archiv in der Akademie der Künste Berlin verwahrt, sein Schriftgut wurde von der Technischen Informationsbibliothek der Universität Hannover aufgenommen.
Im Kuratorium der Karl-Foerster-Stiftung konnte man sich auf den klugen Rat Günter Nagels verlassen, auf seine Hilfsbereitschaft ohne große Worte, auf das Entwirren von Problemen. Er wird mit seiner respektvollen, souveränen Ruhe als einer der letzten aus der Gründungszeit der Stiftung in Erinnerung bleiben.
Swantje Duthweiler
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